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Rechtsextremer Wahlsieg in ChileDer Pinochetismus ist zurück

Kommentar von

Sophia Boddenberg

Der Wahlsieg José Antonio Kasts bedeutet die Wiederkehr des Rechtsextremismus in Chile. Linke tragen daran aber auch Verantwortung.

Er ist wieder da, diesmal in der Form von Augusto Pinochet und verteidigt von José Kast, Nachfahre eines flüchtigen Nazis Foto: Juan Gonzalez/Reuters

I n einem Wahlwerbespot für das Referendum über den Verbleib von Augusto Pinochet trat 1988 ein junger Jurastudent auf und bekannte sich offen zum Militärregime. Es war José Antonio Kast, der kleine Bruder von Pinochets Minister Miguel Kast, einer der berüchtigten Chicago Boys, die den chilenischen Staat während der Diktatur nach den neoliberalen Lehren der Chicagoer Schule umkrempelten. Mehr als drei Jahrzehnte später ist derselbe Mann zum Präsidenten gewählt worden.

Zum ersten Mal seit dem Ende der Militärdiktatur, unter der Tausende verfolgt, gefoltert und ermordet wurden, haben die Chi­le­n*in­nen einen Präsidenten gewählt, der die Pinochet-Diktatur nicht verurteilt, sondern verherrlicht. Kast sagte während seines Präsidentschaftswahlkampfs 2017, er glaube, dass Pinochet, wäre er noch am Leben, „klar für ihn stimmen würde“. Seine politische Karriere begann er in der ultrakonservativen Partei UDI, gegründet von Jaime Guzmán, einem der zentralen Ideologen der Diktatur und Architekten der bis heute gültigen Verfassung. Als sich die Partei aus Kasts Sicht zu sehr mäßigte, gründete er seine eigene.

Die Zerschlagung der Zivilgesellschaft während der Diktatur hat eine verunsicherte Gesellschaft hinterlassen, in der die Menschen einander nicht vertrauen. Kriminalität und irreguläre Migration hat Kast gezielt zu zentralen Wahlkampfthemen gemacht. In Zeiten ökonomischer Instabilität und wachsender Unsicherheit verspricht er die Wiederherstellung einer vermeintlich verlorenen Ordnung. Zugleich ist es der linken Regierung von Gabriel Boric nicht gelungen, die materiellen Lebensbedingungen spürbar zu verbessern. Diese Enttäuschung trug entscheidend zur Niederlage der linken Kandidatin Jeannette Jara bei. Viele jener Menschen, die 2019 zu Hunderttausenden gegen die soziale Ungleichheit protestierten, haben diesmal Kast gewählt.

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Zwar lehnt die chilenische Gesellschaft das autoritäre Erbe Pinochets mehrheitlich ab. Doch Umfragen zufolge bewertet rund ein Drittel der Bevölkerung den Diktator als positiv oder hält den Militärputsch von 1973 für gerechtfertigt. Diese Menschen fühlen sich durch den Wahlsieg von José Antonio Kast bestärkt. Bei den Feiern nach der Wahl wehten neben Nationalflaggen auch Banner mit dem Gesicht Pinochets.

Sicherlich verehren nicht alle Chilen*innen, die Kast gewählt haben, Pinochet. Doch seine breite Unterstützung zeigt, dass ein rechtsextremer Kandidat in einer verunsicherten, unzufriedenen und fragmentierten Gesellschaft mehrheitsfähig werden kann – wenn die Linke es nicht schafft, die Menschen von einem politischen Projekt zu überzeugen. Kasts Wahlsieg ist nicht nur ein Rechtsruck. Er bedeutet das Ende einer politischen Ära, die mit der sozialen Revolte von 2019 begann.

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10 Kommentare

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  • taz 1990:



    "Im Nationalstadion ließ das Pinochet-Regime nach dem Putsch gegen Allende Zehntausende internieren. In diesem Stadion war Victor Jara ermordet worden, dessen Musik am Montag zum Auftakt der Feierlichkeiten aus den Lautsprechern erklang.



    Als etliche der 80.000 ZuhörerInnen beginnen, die Fotos von ermordeten und verschleppten Angehörigen hochzuhalten, wird es zunächst ganz still im weiten Stadionrund. Erst leise, dann immer lauter schreien sich Zehntausende von Menschen ihre Erleichterung von der Seele: „Pinochet, es ist Schluß, es ist aus!“



    Dort auch über Norbert Blüm:



    "Seit seinem Auftritt vor drei Jahren, als der Arbeitsminister viele PolitikerInnen und politische Gefangene in Chile besucht und Pinochet aufgefordert hatte, Schluß zu machen mit der Folter, gilt Blüm für so manche der weitgehend reaktionären deutschen Kolonie als Krypto -Kommunist."



    Zu Victor Jara:



    youtube.com/watch?...i=NQfdbytptor1t0P7



    Die Konservativen u. Rechten auf d. Vormarsch, welch ein Wandel in einer Welt voll Antidemokratie u. Autokrat*innen.



    Sie ließen ihr Leben für Werte u. Freiheit, jetzt wird ihr Einsatz u. ihr Erfolg desavouiert.



    "Sie sind noch mitten unter uns" H. Wader

    • @Martin Rees:

      Danke …anschließe mich



      Danke für Zupfgeigenhansel



      & lauschen wir Victor Jara - Quel homme -



      www.youtube.com/watch?v=Nhak9bEyjwA



      &



      de.wikipedia.org/wiki/Víctor_Jara



      &



      🤖Pablo Neruda schrieb kein spezifisches Gedicht über den 11. September 2001 (9/11), aber der 11. September (1973) ist zentral für sein Werk, da er starb, kurz nachdem der Militärputsch gegen seinen Freund Präsident Salvador Allende stattfand, und seine Gedichte, wie Canto General, das Leid und den Kampf des chilenischen Volkes gegen Faschismus (Pinochet) besingen, wobei seine Poesie als Vermächtnis für Gerechtigkeit und Hoffnung für die Zukunft dient, selbst nach seinem Tod.



      Obwohl er keine direkten Verse zu den Anschlägen in den USA verfasste, sind seine späteren Gedichte und sein Canto General von der Tragödie Chiles geprägt und eine Anklage gegen Faschismus und Unterdrückung.



      Vermächtnis: Nerudas Werk wurde zu einem Symbol für den Widerstand und die Hoffnung auf eine gerechte Gesellschaft, die Allende anstrebte, und seine Stimme blieb durch seine Verse lebendig, wie sie in Werken wie "Ich bekenne, ich habe gelebt" (seine Memoiren) zum Ausdruck kommt, … Eberhard Aurich Editorial.



      Canto General

      • @Lowandorder:

        Theodorakis/Neruda CANTO GENERAL 1) Algunas Bestias (Hamburg 1985) & Hamburger Sängerhaufen



        www.youtube.com/watch?v=sIRRz2SbGj4



        (für Häsi - einem viel zu früh verstorbenen musikalischen Freund Weggefährten Kollegen - motor nicht nur des Sängerhaufens 💐

  • Ich wüsste schon gerne genauer, was die Linke Koalition so falsch gemacht hat, dass sie dann so klar verloren haben. Reicht die übliche Klage über Migration und Kriminalität? Bestimmt wisst Ihr hier im Forum mehr?

    • @ttronics:

      Sophia Boddenberg Ich berichte als freie Journalistin aus Chile und anderen Ländern Lateinamerikas für Print, Online, Radio und TV. Journalistik-Studium in Eichstätt mit Schwerpunkt Politik und Gesellschaft, anschließend Master in Sozial- und Politikwissenschaften Lateinamerikas in Santiago de Chile. Ich beschäftige mich mit Themen rund um Politik und Wirtschaft, insbesondere Rohstoffhandel, Lieferketten, Klimakrise, Migration und Feminismus in Lateinamerika.



      sophiaboddenberg.com/



      Sie müßte es können • Do it! Thnx a lot

  • 9/11 🇨🇱 - “Nach Chile wissen wir genauer.



    Was die CDU von Demokratie hält.“



    klaus-staeck.de/bilderstuermer/



    Jetzt noch genauer! Woll



    & Henry Kissinger



    s Rolle in Chile war zentral für die Destabilisierung der demokratisch gewählten sozialistischen Regierung von und die Unterstützung des Militärputsches 1973 durch , wobei Kissinger aktiv daran arbeitete, Allendes "Weg zum Sozialismus" scheitern zu lassen, die chilenische Wirtschaft zu sabotieren ("make the economy scream") und die Militärjunta nach dem Putsch politisch unterstützte, was zu schweren Menschenrechtsverletzungen führte. Deklassifizierte Dokumente und Augenzeugenberichte belegen seine aktive Beteiligung an CIA-Operationen, um den Putsch zu fördern und die nachfolgende Diktatur zu unterstützen, was ihn in Chile und Lateinamerika sehr unbeliebt machte.



    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kissinger eine Schlüsselfigur bei der Zerstörung der demokratischen Regierung in Chile und der Etablierung der Pinochet-Diktatur war, was tiefe und schmerzhafte Narben in der chilenischen Gesellschaft hinterließ.“







    “…Wiederkehr des Rechtsextremismus in Chile. Linke tragen daran aber auch Verantwortung.“



    Ach was! Wie meinen?

    • @Lowandorder:

      Danke für Ihre Hinweise. Ich erinnere mich auch noch immer voller Schrecken, an den durch den CIA unterstützten, brutalen Militärputsch in Chile 1973. Hier in Deutschland aber auch an die zynische Äußerung des ehemaligen CDU Generalsekretärs Bruno Heck: »Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm«, während tausende Gegner des Pinochet Regimes im Stadion in Santiago de Chile eingesperrt und viele der Eingesperrten gefoltert und ermordet wurden. Später hatte ich durch meine Arbeit bei Amnesty International Kontakte zu Exil Chilenen und dadurch die Gelegenheit im Dezember1989 in Chile selbst das Ende der Pinochet Diktatur in Santiago de Chile mit über 1 Million auf der Strasse feiernden, glücklichen Menschen direkt zu erleben. Es ist unheimlich bitter, jetzt feststellen zu müssen, daß viele Chilenen scheinbar nichts dazu gelernt haben.

  • Eine insgesamt gelungene Analyse, meine ich.

  • Ich war noch nie in Chile, kenne aber eine Handvoll Menschen, die dort häufig hinfahren, 80% davon mit Vorfahren die vor dem Pinochet-Regime nach Deutschland geflohen sind. Alle erzählen von der überwältigenden Natur und der herzlichen Gastfreundschaft,...auf dem Lande. ., und der erschreckenden Alltags-Kriminaliät in den großen Städten Dies ist ein zentraler Driver des "Rechsrutsches" in vielen Ländern, da "die liberale,Linke" das nicht in den Griff kriegt und die Law-and-Order-Rechte diese Form der Alltsgsgewalt tatsächlich reduziert. Der Preis dafür, Gewalt gegen Non-Konforme, spielt für die Masse einfach keine Rolle mehr dann.



    Niemand will als Fußgänger von fuchtelnden Meesermännern angegriffen oder als Autofahrer in Tunnels von Gangs überfallen werden.



    Und es ist in diesem Moment kackegal welcher sozialpsyhologischer Hintergrund dabei eine Rolle spielt.

    • @Ignaz Wrobel:

      Booey / Mr 1 PS-Fake - keinen Wimpernschlag glaube ich - Tucho hätte derart geschrieben •